Ulrich Becher

2. Januar 1910 - 15. April 1990


Als Ulrich Becher mit seinem Erstling «Männer machen Fehler» die literarische Bühne betrat, schien sich eine vielversprechende Karriere für das junge Talent abzuzeichnen. Neben der starken Ausdrucksform seiner Erzählungen zeigte sich eine nicht minder beeindruckende bildnerische Begabung, die von seinem Mentor Georg (damals noch, er wurde erst im Exil zum George) Grosz gefördert wurde, und auch im Klavierspiel hatte er sich schon so weit ausgebildet, dass er später - in Zeiten der Not - als Barpianist zum Lebensunterhalt beitragen konnte. Doch mit der Machtübernahme durch die Hitlerhorden erfuhr sein Lebensplan eine einschneidende Veränderung, seine Freunde und Förderer verliessen Deutschland, seinem Vater wurde die Anwaltskanzlei entzogen, er selbst musste als Angehöriger des Kreises um George Grosz damit rechnen, drangsaliert zu werden. Er versuchte, dem Unheil auszuweichen, aber nicht einmal die Schweiz (mit der er von mütterlicher Seite her verbunden war (sein Grossvater hatte während einiger Zeit als Pächter das Rütli verwaltet)) bot ihm Asyl, und so blieb nur noch die Emigration nach Übersee, erst nach Brasilien und zum Schluss nach New York. Allen Schicksalsschlägen zum Trotz verfolgte er seine schriftstellerische Arbeit weiter und schuf ein volumenmässig knappes dafür aber in Inhalt und Dichte umso grandioseres Werk. Die Lebensumstände und vielleicht auch seine Haltung: "War er doch im Herzensgrund ein hochmoderner Individualist kosmopolitisch-pazifistischer Ausrichtung (wie er seinen Standpunkt diagnostizierte)." (das Zitat aus «Nachtigall will zum Vater fliegen» auf Seite 281 gilt dem Protagonisten der Erzählung Dr Nightingale, könnte aber sehr gut auf Ulrich Becher selbst angewendet werden) verhinderten leider einen grösseren Bekanntheitsgrad. Die Stadt Basel, in der er nach seiner Rückkehr nach Europa Wohnsitz nahm, hatte es ihm seit seinen ersten Besuchen mit ihrem historisch-kulturellen Hintergrund, ihren zum Teil skurrilen Bewohnern und ihrer einzigartigen Fasnacht so sehr angetan, dass er sie als Schauplatz in einige seiner Geschichten aufnahm («Nachtigall will zum Vater fliegen», «Mademoiselle Löwenzorn», «Das Herz des Hais»). Umgekehrt kümmerte das offizielle Basel sich nicht sonderlich (um nicht zu sagen überhaupt nicht) um den 'heimatlosen' Schriftsteller, und wen erstaunt es, von seiner immer wieder geäusserten Absicht die Stadt zu verlassen, zu erfahren. Nach seinem Tod gab es eine Phase des stetigen Abgleitens in die Vergessenheit; die meisten seiner Bücher waren nur noch antiquarisch zu erwerben. Doch mit dem 100. Geburtstag begann sich die Situation wieder zu verbessern. Die Neuausgabe der «Murmeljagd» im Schöffling-Verlag und das Hörbuch der «Murmeljagd» zogen weitere Neuausgaben nach sich («Kurz nach 4», «Im Liliputanercafé»). Für die Zukunft sind noch mehr Neuausgaben geplant.

dieter häner, Mai 2001 / November 2019



Eckdaten des Lebens von Ulrich Becher

  • 2.1.1910 geboren in Berlin als Sohn des Rechtsanwalts Richard Becher und der Schweizer Pianistin Elisa Ulrich
  • 1916 - 19 Vorschule des Werner-Siemens-Realgymnasiums
  • 1919 - 22 Hauptschule des Werner-Siemens-Realgymnasiums
  • 1923 - 28 Besuch der Freien Schulgemeinde Wickersdorf (bei Deutschlehrer Peter Suhrkamp) Abschluss mit Abitur
  • 1928 - 32 Jurastudium in Berlin, Genf und Leipzig, Grafikschüler von George Grosz
  • 1932 erscheint sein Novellenband «Männer machen Fehler» bei Rowohlt Berlin
  • 1933 Übersiedlung nach Wien, Arbeit als Zeitungskorrespondent
  • 4.11.1933 Heirat mit Dana, der Tochter des Österreichischen Schriftstellers Alexander Roda Roda
  • 27.1.1936 Uraufführung seines ersten, von einer Grosz-Zeichnung inspirierten Stücks «Niemand» am Stadttheater in Bern
  • 1938 Bürgerrecht Österreichs, nach dem "Anschluss" wieder aberkannt, danach staatenlos, Emigration in die Schweiz
  • 1941 Flucht über Frankreich, Spanien und Portugal nach Brasilien und zuletzt nach New York
  • 21.10.1944 Geburt des Sohnes Martin Roda
  • 1948 Rückkehr nach Wien; Aufführung des Stücks «Der Bockerer» mit grossem Erfolg
  • 1954 Wohnsitz in Basel
  • 1955 Dramatikerpreis des Deutschen Bühnenvereins
  • 1976 Preis der Schweizerischen Schillerstiftung
  • 1980 Österreichisches Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für Literatur und Wissenschaft
  • 15.4.1990 gestorben in Basel